Ägypten: 5.000 Jahre Geschichte, was nun?

Nachbetrachtung der Vorträge von Essam Abdul Mohsen

 

Der Ägypter Essam Abdul Mohsen ist bei deinen Vorträgen in Markdorf - Hepbach und FN – Berg am 4. und 5. Januar bei den Besuchern auf reges Interesse gestoßen. Die Schwerpunkte lagen erwartungsgemäß weniger bei in der interessanten und jahrtausende alten Geschichte, einer der Wiegen der Menschheit. Vielmehr war es die aktuelle, politische Lage und die Frage, wie es dazu kommen konnte, dass die jungen, gut ausgebildeten Bürger auf die Straße gegangen sind und gehen. Warum hat das Militär nicht eingegriffen hat und ist auf die Seite der Bürger gegangen ist. Was ist von der Muslimbruderschaft zu erwarten? Wie wird sich die Regierung formieren und was bedeutet dies für die Wirtschaft und den Tourismus?

 

Fragen über Fragen, welchen Sich Essam offen gestellt hat.

 

Es zeigen sich Parallelen zu den Montagsgebeten in Leipzig, Berlin usw. Auch in Kairo war eigentlich kein Systemsturz geplant. Die bösartige, menschenverachtende Politik des Innenministers sollte geändert werden. Die Perspektiven der gut ausgebildeten, jungen Generation sollten verbessert werden. Präsident Mubarak hatte offensichtlich die Situation nicht mehr überblickt und sein Sohn Gamal als Nachfolger überschätzt. Die „edle“ Haltung der Militärs hatte mit der Ablehnung Gamal Mubaraks zu tun, die er offen gegen das Militär geäußert hatte, um diese Institution zu schwächen. So häuften sich Fehlentscheidungen und Fehleinschätzungen der Lage, die dann überraschend zum Rücktritt führten. Es gibt derzeit keine starke Persönlichkeit, die alle Gruppierungen akzeptieren können. Dieses Vakuum will vermutlich das Militär nutzen und die Macht weiter zu führen.

 

Essam schätzt die Muslimbruderschaft, die derzeit ca 47 % der Wählerstimmen hinter sich hat, als vorteilhafte Lösung ein. Die Bedenken der westlichen Welt sind nach seiner Meinung unbegründet, da die wichtigen Leute dieser Partei alle im Westen studiert und gearbeitet haben. Es wird keine Korrekturen im Tourismus , den Studien- und Kulturreisen geben. Auch die extremen Muslimbrüder werden ihre Haltung teilweise korrigieren müssen, wenn sie im Parlament mitwirken und Ägypten neu mitgestalten wollen. Die Rolle der Verfolgten wird es vermutlich für diese Gruppe nicht mehr geben.

 

Wie ist das mit der Christenverfolgung, war die offene Frage. Die Kopten sind eine Minderheit von 8 – 10 % in Ägypten. Sie haben fast immer ohne Probleme mit den Muslimen zusammen gelebt. Unruhen waren politisch gewollt und geschürt. So hat der ehemalige Innenminister die Anschläge Anfang Januar 2011 in Alexandria bewusst angezettelt, bei dem über zwanzig Menschen ums Leben kamen. Alle Fachleute gehen davon aus, dass hier Frieden und Ruhe einkehren wird.

 

Zum Thema Frau im Islam hat Essam ebenfalls aufklären können. In einigen Belangen, zum Beispiel gleicher Lohn bei gleicher Arbeit für Mann und Frau ist seit langer Zeit Realität. Die Frau im Ägypten hat laut Essam bereits seit Jahrzehnten der Aufklärung die gleichen Rechte und Pflichten und ist hochgeschätzt. Dies entspricht letztlich dem der Geist des Islam, so Essam. Die pharaonische / afrikanische Sitte der Beschneidung der Mädchen seit 2008 unter Strafe verboten. In den Universitäten haben die jungen Frauen gleichen Voraussetzungen wie die Männer. Die Bedingungen in den ländlichen Regionen sind zum Teil noch immer sehr rückständig.

 

Eines der größten Probleme ist nach wie vor die große Zahl von Analphabeten auf dem Lande. Man geht davon aus, dass ca 45 % der Menschen in Ägypten nicht lesen und schreiben können. Die geltende Schulpflicht wurde unter Mubarak nicht eingefordert und kontrolliert.

 

Es warten große Aufgaben auf die neue Regierung. Es ist zu hoffen, dass gute Entscheidungen für die Menschen und das Land getroffen werden und wieder viele Gäste in dieses wunderschöne Land am Nil, mit den liebenswerten Menschen kommen und damit wieder bessere Lebensbedingungen entstehen können.

 

Für mich war und ist diese Begegnung mit Essam ein wunderbares Beispiel, wie man interkonfessionell das Fest des Friedens, Weihnachten, feiern kann.

 

6.1.2012

 

Jakob Strauß